"Videospiele stumpfen ab, machen dumm und aggressiv."
Ein Standpunkt, den viele Gegner unseres geliebten Hobbies gerne vertreten, auch wegen seiner generellen Unnachweisbarkeit. Aber lassen wir diese Grundsatzdiskussion mal links liegen und stoßen stattdessen genau in die andere Richtung vor, indem wir uns die Frage stellen, ob Spiele - neben der Verbesserung von Reaktionen und logischem, sowie pragmatischem Denken - nicht auch hinsichtlich der individuellen Persönlichkeitsbildung positiven Nutzen haben können.
Und ob es langsam nicht vielleicht sogar an der Zeit ist für mehr mutige Vorstöße in diese Richtung; immerhin machen Videospiele mittlerweile einen großen Teil unserer Unterhaltungsindustrie aus.
Also mal sehen; was tun wir denn überhaupt so alles in einem typischen Spiel? Zuerst mal viel erforschen, erkunden, staunen, Rätsel lösen. Dann aber auch Instinkte ausleben; gewalttätig sein, verletzen, töten. Viel lachen, das darf man auch nicht vergessen. Und natürlich: Sich miteinander messen, rangeln, Wettkämpfe austragen. Allerdings nicht immer nur gegen-, sondern oft auch im Team miteinander.
Und dann werden noch unzählige Dinge simuliert, die wir in der Realität niemals tun könnten: Eine Mannschaft zum Sieg der Championsleague geleiten, Helikopter fliegen oder Panzer fahren, mit unverschämt teuren Autos über komplizierte Strecken kacheln (und sie dabei häufig zu Schrott fahren) oder die Eroberung der Normandie nachspielen. In den meisten Fällen also ein Ausleben von stumpfen Kindheits- oder Männerträumen und rein physisch betrachtet eine Stimulation der Ausschüttung von Glückshormonen und Adrenalin.
Doch es geht auch tiefgründiger: Wie hier schon des Öfteren erwähnt, vertritt z.B. David Cage, Chefentwickler von Heavy Rain und Fahrenheit, in seiner Rolle als Visionär die Meinung, dass Videospiele gemeinhin gehaltvoller sein sollten. Gewiss nicht alle, aber generell doch wesentlich mehr.
Aber bringt uns das etwas? Können Spiele dabei helfen, dass wir uns seelisch, psychologisch oder mental weiterentwickeln? Augenscheinlich erst mal nicht.
Sieht man sich hingegen den Wirkungsbereich von Filmen an, so haben diese wesentlich häufiger die Absicht, die Denkweise und Psyche des Betrachters zu beeinflussen. Sie zeigen gesellschaftliche Missstände und soziale Defizite auf, oder ermöglichen gar den Einblick in tiefe psychologische Abgründe.
Allerdings muss man hierbei der Vollständigkeit halber zwei Dinge anmerken: Erstens musste auch der Film erst eine sehr lange Entwicklungsphase hinter sich bringen, um den heutigen, in meinen Augen durchschnittlich recht hohen anspruchsvollen Stand zu erlangen. Und zweitens zielt natürlich auch heute noch der Großteil aller Filme darauf ab, lediglich zu unterhalten, um damit einfach nur eine riesige Menge an Kohle zu generieren.
Doch zurück zur Hauptfrage: Müssten Spiele - allein schon wegen ihrer Interaktivität mit dem "Betrachter" - oben genannte Eigenschaften nicht wesentlich besser vermitteln können als Filme, bei denen man nur zusieht anstatt selbst einzugreifen? Oder ist Interaktivität in dieser Hinsicht eher hinderlich und störend?
Und wie steht es mit den über Jahre hinweg eingebrannten Vorstellungen der Spieler, die sich immer wieder zu Millionen wie Lemminge versammeln, um bestehende Pfade weiter auszulatschen? Warum sind, wie auch beim Film, alle Spiele mit wirklich hohen Absatzzahlen eher von stumpfer Natur und nur ein Aufguss von bereits Bestehendem? Ich denke dabei z.B. an Call of Duty, Gran Turismo oder auch World of Warcraft.
Wenn man sich diesen Dauertrend ansieht, stellt sich die Frage: Wollen wir Spieler überhaupt mehr Anspruch? Ich behaupte: Ja sicher! Zumindest, solange die Spielbarkeit und der Spielspaß, um den es ja eigentlich in erster Linie geht, nicht darunter leiden. Ich meine, warum denn auch nicht?
Meiner Meinung nach kann mehr Anspruch und Tiefe einem Spiel generell nur gut tun. Dabei würden winzige, subtile Dinge oft schon völlig ausreichen; z.B., dass eine computergesteuerte Person die Gewalt auf ein notwendiges Maß beschränkt, indem sie etwa verletzte Gegner laufen lässt oder den Spieler (wie gesagt:
subtil) auf unnötige Gewalt hinweist. Oder dass in einer Zwischensequenz die Kamera einfach mal drei Sekunden länger auf einen schweigenden und vermeintlich über seine Taten nachgrübelnden Charakter hält.
Winzige (zwischenmenschliche) Signale sozialen Verhaltens, die über das Notwendige hinausgehen. Eigentlich nicht schwer umzusetzen, und doch leider noch viel zu selten zu beobachten. In der Realität schlagen Extremsituationen tiefe Kerben in die Psyche eines Menschen; in Spielen wird dieser Aspekt durchweg vernachlässigt. Und Extremsituationen sind genau das, wovon Spiele zehren; in ihnen sind sie allgegenwärtig.
Und es ist ja nicht so, dass Spielen solch subtile Kleinigkeiten schaden würden. Ganz im Gegenteil, selbst ein großes Blockbuster-Spiel mit Millionenauflage und enormen Entwicklungskosten würde von solch kleinen "sozialen Einflechtungen" profitieren. Es erhielte dadurch eine dichtere Atmosphäre und würde unterschwellig auf ein höheres, kunstvolleres Niveau gehoben, was wiederum bessere Kritiken und höherer Absatzzahlen zur Folge hätte.
Natürlich gibt es durchaus schon jetzt einige Beispiele an Spielen, die einen gewissen Anspruch vorweisen können; darunter definitiv die von Kritikern hochgelobten Titel ICO und Shadow of the Collossus, die erwähnten Spiele von David Cage und, wenn auch auf etwas subtilere Weise, sicherlich auch das eine oder andere Produkt von Rockstar Games.
Bei Letzteren ist es in erster Linie eine teils offene, teils versteckte Kritik an unserer recht egozentrischen, sowie sehr gewinn- und konsumorientierten Gesellschaft. Aber auch Ansätze der eben erwähnten, stillen Charakterstudien sind zu beobachten, etwa in Red Dead Redemption.
Shadow of the Collossus hingegen stellt während des gesamten Spiels das eigene Verhalten in Frage. Ist es richtig, mehrere uralte und generell friedliche Riesen auf sichtbar schmerzvolle Weise zu töten, nur um das Leben eines geliebten Mädchens zu retten?
How far will you go for love? Eine Frage, die auch in den Spielen von David Cage immer wieder eine Rolle spielt. Allerdings beschreitet er in ihnen andere Wege: In Heavy Rain stürzt er den Spieler durch das Fällen harter Grundsatzentscheidungen von einem ethischen Dilemma ins nächste und löst zudem spieleuntypische Emotionen aus, wie seelischen Schmerz, (Handlungs-)Ohnmacht, Panik und immer wieder: Schuld.
Die Tatsache, dass der Spieler in fast allen Szenen selbst handeln muss, betrachte ich allerdings als zweischneidiges Schwert: Einerseits fühlt man sich dadurch zwar mittendrin, da man selbst reagieren und entscheiden muss, um Schlimmerem zu entgehen, andererseits wird man aber auch von den eigentlichen, teilweise schockierenden Bildern abgelenkt, die in einem Film wahrscheinlich besser zur Geltung kämen.
In einer Szene von Heavy Rain muss man sich z.B. als attraktive Frau in seiner eigenen Wohnung gegen drei Vergewaltiger wehren; die andauernde Einblendung von Tastenkombinationen lässt jedoch nicht die lodernde Panik aufkommen, die man in derselben Szene beim Betrachten eines Films hätte; zumindest ich bin dafür zu sehr auf das schnelle und korrekte Ausführen der verlangten Tastenkombinationen konditioniert. Aber insgesamt ist das Spiel definitiv ein deutlicher Aufruf an andere Entwickler und ein Schritt in die richtige Richtung.
Lobend erwähnen möchte ich zudem auch noch Mass Effect 2, welches den Spieler ebenfalls unzählige Entscheidungen treffen lässt - und zwar ganz beiläufig, bei jeder einzelnen Kommunikation. Und von denen gibt es äußerst viele. Zudem gewährt das Spiel immer wieder Einblicke in fremde Sichtweisen und Perspektiven, was durch die Idee des Zusammenlebens unterschiedlichster außerirdischer Lebensformen noch verstärkt wird. Die menschliche Gattung (und damit auch auch die Hauptperson) ist im Vergleich zu den anderen Wesen in dieser großen Gemeinschaft noch relativ neu und deshalb vielen ein Dorn im Auge.
Hinzu kommt die Tatsache, dass man immer wieder neue Planeten besucht und dort meistens als mit Vorsicht zu genießender oder verabscheuungswürdiger "Alien" behandelt wird - man erfährt also interplanetaren Fremdenhass. Dass man nach den jeweiligen Mission dann doch immer wieder als freundlicher Freund und Helfer dasteht, relativiert diesen interessanten Aspekt leider etwas, aber das Spiel ist nun mal auf eine Vielzahl von Happy Endings ausgelegt.
So, die Vergangenheit haben wir nun also abgehandelt, doch wie sieht's in der Zukunft aus? Die Antwort auf diese Frage gibt es
im zweiten Teil meines Artikels. Und falls Du hier schon etwas loswerden willst, schieß' los; ich freue mich über jeden Kommentar!